Rekorde, „Wiese“ und extreme Erfahrungen: Fünf Gschichtn zur Relegation

Duell mit Historie: Hier bekämpfen sich Pascal Groß und Danny Blum im Jahr 2015 (Foto: Bösl / KBUMM).

Rekorde, „Wiese“ und extreme Erfahrungen: Fünf Gschichtn zur Relegation

08. Juli, 2020 12.00 Uhr

Das vielzitierte Momentum ist lag vor dem ersten Aufeinandertreffen gegen den 1. FC Nürnberg auf Seiten des FC Ingolstadt 04, das Ergebnis ist bekannt: Ein hochkonzentrierter Club presste von Anfang an gegen unsere Schanzer, die Franken kauften uns den Schneid ab. Die beste Nachricht: Ein 0:2 ist aufholbar. Mit unseren fünf kleinen Geschichten wollen wir Euch, liebe Fans, auf das letzte Pflichtspiel dieser kuriosen Saison einstimmen. Ohne Frage, die Ausgangslage ist nicht berühmt und Nürnberg steht kurz vor dem Ziel Klassenerhalt. Aber: Schanzer geben nicht auf…

Zwei Tore aufholen – Brutal schwer, nicht unmöglich…
In der Regel setzt sich der Dritt- gegen den Zweitligisten durch, sagt die Historie. Der FCI kann bekanntermaßen ein Lied davon singen. Warum es sich trotz einem 0:2 im Hinspiel lohnt, daran zu glauben? Nicht nur, weil unsere Jungs in dieser Saison schon einige Rück- und Nackenschläge verdaut und eine Reaktion gezeigt haben. Zu gerne erinnern wir uns an einen 3:2-Sieg gegen Münster nach einem 0:2-Rückstand. Tatsächlich gab es solch eine „Aufholjagd“ aber auch schon in der Relegation: Rückblick auf die Saison 13/14, Darmstadt gegen Bielefeld. Bei den Lilien setzt sich der Zweitligist mit einem 3:1 durch, eine weitestgehend klare Angelegenheit, die Messe scheint gelesen zu sein. Bekanntermaßen gibt es aber ein Rückspiel, und das steigt auf der Alm, seinerzeit übrigens vor voller Kulisse. Die Hausherren gehen als haushoher Favorit in die Begegnung, die Zeichen stehen auf Klassenerhaltsfeier. Doch zur Halbzeit führt der Gastclub mit 1:0, legt nach der Pause das zweite Tor nach. Bielefeld ist zu dieser Zeit dennoch durch aufgrund der Auswärtstor-Regel. Sicherheit gibt das Tor von Felix  Burmeister. Das 1:2 scheint das Spiel wieder pro „Arminia“ kippen zu lassen. Doch Jerome Gondorf schickt die Protagonisten zehn Minuten vor Abpfiff tatsächlich in die Verlängerung und markiert das dritte Tor für Darmstadt. Unglaublich, was sich dort dann abspielt: Die Alm-Kicker markieren das lebensnotwendige 2:3 (110. Minute), es folgt das Anstürmen der Lilien. In der 122., längst sehnen die Hausherren den Abpfiff vorbei, kommt Routinier Elton da Costa tatsächlich nochmal zum Abschluss – und trifft. Das 4:2 für die Hessen bedeutet den Aufstieg und stürzt den Favoriten ins Tal der Tränen.

Woher kommt es, dass „der Glubb a Depp“ sei?
Die Verbundenheit zu ihrem Verein ist bei den Nürnbergern so groß wie in kaum einer anderen deutschen Region. Doch während die Anhänger des FC Bayern ein fast überschwängliches Selbstvertrauen an den Tag legen („Mia san Mia“) und selbst Kölner Fans ihren chronisch unruhigen FC grundsätzlich positiv begleiten („Et hett noch emmer jot jejange“), steht in Nürnberg der Satz „Der Glubb is a Depp“ wie kein anderer für das traditionell fatalistisch geprägte Verhältnis der Cluberer zu ihrem FCN. Diese Melancholie ist sicherlich auch auf die fränkische Mentalität zurückzuführen, die sich durch tief verwurzelte Bodenständigkeit und große Heimatverbundenheit auszeichnet. Der Journalist Klaus Schamberger prägte den Satz „Der Glubb is a Depp“ 1996, als sich der Club mit dem Abstieg in die Regionalliga Süd am sportlichen Tiefpunkt befand. Die Aussage habe eine historisch gewachsene Gültigkeit, wenn man sich die Vereinsgeschichte vor Augen führe, so Schamberger. In der Tat vollbrachte der FCN das in Deutschland einzigartige Kunststück, sowohl als amtierender Meister des Jahres 1968 als auch als DFB-Pokalsieger 2007 aus der Bundesliga abzusteigen. Sollten die Nürnberger in der Relegation tatsächlich noch am FCI scheitern, würde dies für die Franken den direkten Durchmarsch von der Ersten in die Dritte Liga bedeuten.

Ausgerechnet Michael Wiesinger
Ironie des Schicksals – es ist wieder eine dieser Geschichten, die ausschließlich der Fußball schreibt. Nur für die beiden Relegationsspiele übernimmt Michael Wiesinger die Trainerverantwortung beim 1. FC Nürnberg. Der ehemalige Profi, der unter anderem für den Club, den FC Bayern und den TSV 1860 München die Fußballschuhe schnürte, war von Juli 2008 bis Ende 2010 beim FC Ingolstadt 04 als Coach der U23 sowie als Co- und Cheftrainer der Profimannschaft tätig und schaffte mit den Schanzern zum Ende der Saison 2009/10 – in der Relegation – gegen Hansa Rostock die sofortige Rückkehr in die 2. Bundesliga. Am Samstag wird der ehemalige Mittelfeldspieler diesmal allerdings alles daran setzen, den Donaustädtern die Sensation und damit eine Wiederholung des mit ihm vor zehn Jahren errungenen Erfolges zu verwehren. Seit September 2019 ist der 47-Jährige als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums für den Club tätig und wird nach den „Endspielen“ diese Aufgabe auch wieder übernehmen.


Die Vorgeschichte ist bekannt, mit den Schanzern feierte Michael Wiesinger den Wiederaufstieg in die 2. Liga 2010 (Foto. Bösl / KBUMM).

Der Club und die Rekorde
Mit neun Meisterschaften und damals drei Pokalsiegen war der 1. FC Nürnberg sowohl bis 1987 über 64 Jahre lang deutscher Rekordmeister als auch bis 1969 über 34 Jahre lang deutscher Rekordpokalsieger, bevor ihn jeweils der FC Bayern München ablöste. Seitdem wird der 1. FC Nürnberg oft als „Fahrstuhlmannschaft“ bezeichnet, denn es gelingt dem Verein nicht, sich dauerhaft in einer Liga zu etablieren. 2019 stieg der Club zum neunten Mal aus der Bundesliga ab, was den Höchstwert bedeutet. Wie bereits weiter oben erwähnt, mussten die Franken sowohl als amtierender Deutscher Meister des Jahres 1968 als auch als DFB-Pokalsieger 2007 die Bundesliga verlassen. Eine komplette Spielzeit ohne einen einzigen Auswärtspunkt schaffte auch nur der 1.FC Nürnberg (1983/84), dem es 30 Jahre später als erstem Bundesligisten gelang, kein Hinrundenspiel zu gewinnen (2013/14). Zudem scheiterte der 1. FCN als bislang einziger Erstligist im DFB-Pokalwettbewerb an einem fünftklassigen Gegner (2001 am Verbandsligisten SSV Ulm).

Relegationserfahrung
Zur Saison 2008/09 wurden im deutschen Profifußball die Relegationsspiele wieder eingeführt. Während der 1. FC Nürnberg dreimal um den letzten verbleibenden Platz im Fußball-Oberhaus an dieser „Saisonverlängerung“ teilnahm, war der FC Ingolstadt 04 eine Etage tiefer bislang zweimal am „Relegationsstress“ beteiligt. 2009 besiegelten die Franken mit zwei klaren Siegen (3:0 und 2:0) den Abstieg von Energie Cottbus. Ein Jahr später behaupteten sie gegen den FC Augsburg (1:0 und 2:0) ihre Zugehörigkeit zur Ersten Liga und 2016 schafften sie es gegen den Tabellensechzehnten Eintracht Frankfurt (1:1 und 0:1) nicht, die Zweite Liga hinter sich zu lassen. Die Schanzer feierten 2010 mit zwei Siegen (1:0 und 2:0) gegen Hansa Rostock den sofortigen Wiederaufstieg in die Zweite Liga. Hingegen ist der bittere Abstieg gegen Wehen Wiesbaden im vergangenen Jahr (2:1 und 2:3) – es entschied die Auswärtstorregelung – noch in unser aller trauriger Erinnerung. Aber vielleicht ist diese Erfahrung auch die kleine Chance, um am Samstag ein zweites „Wunder“ nach dem Bundesliga-Aufstieg 2015 im Audi Sportpark zu vollbringen.