„Unter der Motorhaube steckt noch viel Power“

Alte Liebe rostet nicht: Ramazan Özcan und sein Käfer, an dem er leidenschaftlich schraubt und repariert

„Unter der Motorhaube steckt noch viel Power“

14. Mai, 2016 12.00 Uhr

Ramazan Özcan ist seit knapp fünf Jahren ein Schanzer und hat mit dem FC Ingolstadt 04 schon viel erlebt. fci.de traf den 31-Jährigen abseits des Platzes und lernte den Privatmensch „Rambo“ dabei kennen. Warum der Torhüter Benzin im Blut hat, warum er noch lange nicht zu den Oldtimern gehört und welche Kuriositäten der Österreicher auf dem Weg zum Profi erlebt hat, erfahrt ihr hier.

fci.de: Servus Rambo, wir treffen dich hier in deiner eigenen kleinen Werkstatt. Du hast ja ein durchaus außergewöhnliches Hobby. Woher kommt deine Liebe zu Autos?

Ramazan Özcan: Das kommt aus meiner Kindheit. Mein Vater hat schon immer an Autos herumgeschraubt. Früher war das ja, anders als heute, mit den modernen Fahrzeugen, auch noch möglich. Da konnte man noch viel selbst machen und er hat tatsächlich viele Reparaturen allein erledigt. Dabei durfte ich die rechte Hand von meinem Papa sein und ihm Schraubenschlüssel und allerlei Werkzeug aus der Garage bringen. Daher kommt die Leidenschaft und in dieser Zeit hat alles begonnen.

fci.de: Aktuell bringst du deinen VW Käfer wieder auf Vordermann. Seit wann hast du den „Oldtimer“ und wie geht’s voran?

Ramazan Özcan: Ich habe ihn 2009 in Heidelberg gekauft, als ich in Hoffenheim gespielt habe. Es ist einfach schön und macht mir unheimlich viel Spaß, an alten Fahrzeugen rumzuschrauben. Da kann man noch unter die Motorhaube schauen und tatsächlich das ein oder andere defekte Teil selbst austauschen. Bei schönem Wetter fahre ich gerne mit dem Käfer oder meiner Vespa durch die Gegend oder bringe sie auf Vordermann.

fci.de: Wie oft kommst du dazu am Käfer herumzuschrauben und welche Gedanken gehen dir währenddessen so durch den Kopf?

Özcan: Ich kann dabei wunderbar relaxen und abschalten. Es ist einfach ein großartiges Gefühl, wenn man im Käfer sitzt und das Fenster herunterlässt. Das ist schon ein Stückchen Freiheit. Dazu kommt, dass das Auto über kaum Elektronik verfügt – alles ist noch so ursprünglich. Das gefällt mir. Von null auf 100 brauchst du wahrscheinlich 30 Minuten und das bergab, denn bergauf klappt das gar nicht (lacht). Das sind Kleinigkeiten, die ich wirklich genießen kann.

fci.de: Aber auch die Formel 1 ist deine große Leidenschaft, oder?

Özcan: Absolut. Es gibt seit Jahren kaum ein Rennen, welches ich verpasst habe. Auch Trainingseinheiten oder Qualifikations-Rennen verpasse ich eigentlich nur, wenn mir mein Beruf einen Strich durch die Rechnung macht. Ich mag daran natürlich den Speed aber auch die gesamte Entwicklung der Formel 1 mit der Aerodynamik, der Carbon-Hüllen der Boliden. Ich beschäftige mich tatsächlich sehr tiefgreifend mit dem Sport und bin nicht nur jemand, der die Rennen verfolgt, um zu schauen, wer gewinnt. Deshalb würde ich mich schon als leidenschaftlichen Formel 1-Fan bezeichnen. Auch die Reifen-Thematik und die verschiedenen Zusatzleistungen der Motoren faszinieren mich sehr.

fci.de: Hast du einen Lieblingsfahrer, oder ein Lieblingsteam?

Özcan: Sebastian Vettel war schon immer mein Lieblingsfahrer. Er ist ein bodenständiger Typ und akribischer Arbeiter. Damit kann ich mich super identifizieren und deshalb war ich schon immer ein Fan von ihm. Ferrari ist damit mein Lieblings-Stall. Aber keine Angst, deshalb werde ich noch lange nicht mit einem Ferrari vorfahren (lacht).

fci.de: Was sagt deine Familie zu deinem sicherlich zeitintensiven Hobby?

Özcan: Meine Familie hat für mich natürlich die oberste Priorität. Deshalb nehme ich mir auch vieles, vor allem das Qualifying und die Trainingseinheiten, einfach auf und schaue es mir an, wenn unsere Tochter im Bett ist. Die Rennen versuche ich schon live zu sehen, denn es gibt nichts Nervigeres, wenn man sich das Rennen aufnimmt und dann im Radio hört, wer gewonnen hat. Damit ist dann die Spannung dahin.

fci.de: Wer dich kennt, weiß, wie wichtig dir deine Familie ist. Inwieweit hat sich dein Leben mit der Geburt deiner Tochter verändert? Und schaut sie dem Papa gern im Stadion zu?

Özcan: Ja, unsere Tochter ist immer bei den Heimspielen mit dabei. Auch die Auswärtsspiele schaut sie sich mit meiner Freundin im Fernsehen an. Es ist sehr süß zu sehen, dass sie das Schanzer Logo schon erkennt. Jedes Mal, wenn wir am Audi Sportpark vorbei fahren oder sie das FCI-Logo irgendwo sieht sagt sie „Papa, Fußball“. Unsere Tochter hat unser Leben natürlich total verändert. Es ist das Schönste, was ich bisher in meinem Leben erlebt habe. Dass ich die Geburt unserer Tochter miterleben durfte war für mich das Größte. Seitdem betrachte ich die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Dinge, über die man sich früher noch viele Gedanken gemacht oder sich aufgeregt hat, ist mittlerweile einem echt egal. Das Lächeln seiner eigenen Familie und der glückliche Ausdruck auf dem Gesicht meiner Freundin oder unserer Tochter, ist für mich das Wichtigste.

fci.de: Du nennst deinen in die Jahre gekommenen VW Käfer liebevoll „Goldschatz“ – selbst zählst du dich, trotz grauer Haare, aber noch nicht zum alten Eisen, oder?

Özcan: Nein, auf keinen Fall. Auch wenn optisch durch die grauen Haare vielleicht der Eindruck entstehen könnte (lacht). Ich bin körperlich topfit. Ich fühle mich noch jung, hungrig und im besten Alter, um noch vieles im Fußball zu erreichen. Unter der Motorhaube steckt noch viel Power (grinst).

fci.de: Wenn du vor Punktspielen auf den Platz läufst, sprichst du immer ein kleines Gebet. Wie wichtig ist dir die Religion?

Özcan: Ich bin schon ein gläubiger Mensch, ohne dabei jemandem meinen Glauben aufzwingen zu wollen. Das kann jeder so halten wie er möchte. Aber ich persönlich glaube daran, dass mir der liebe Gott geholfen hat und auch weiterhin hilft. Ich bin ein Mensch, der nie vergessen wird, woher er kommt. Dass, was ich gerade erleben darf, in der Bundesliga zu spielen und diese Erfolge mit unseren Fans feiern zu können, das ist für mich nicht selbstverständlich. Auch wenn das manchmal vielleicht anders rüberkommt. Aber ich bin Gott unheimlich dankbar dafür, dass er mich diese Tage erleben lässt.

fci.de: Heutzutage werden junge Talente schon sehr früh in Nachwuchsleistungszentren professionell trainiert. Dein Weg zum Bundesliga-Torwart war ein anderer…

Özcan: Ja, das stimmt. Zu meiner Zeit gab es noch nicht diese professionellen Strukturen mit Torwart-, Athletiktrainer und Videoanalyst. Trotz allem, auch wenn der Weg, den ich gegangen bin, brutal schwer war, hat mir diese Zeit geholfen. Somit weiß ich viele Dinge besser einzuschätzen und lebe in dem Bewusstsein, mir alles hart erarbeitet zu haben. Ich kann den jungen Talenten von heute nur raten, diese Zeit zu genießen und die professionellen Rahmenbedingungen zu nutzen. Die Möglichkeiten, die es heutzutage gibt, sind unglaublich.

fci.de: Hast du in deiner Kindheit auch abseits des Vereins für dich allein trainiert?

Özcan: Ja, mein älterer Bruder und ich haben viel zusammen trainiert. Wir haben daheim ein Tor an die Garagenwand gezeichnet. Dann hab ich mich ins Tor gestellt und er hat drauf gebolzt. Auch mit meinen Freunden habe ich viel Fußball gespielt. Wenn man keinen hat, der einem mit 13, 14 Jahren eine Fangtechnik beibringt, dann schaut man sich das halt bei dem einen oder anderen Torwart ab. Bei mir waren das die Keeper aus meiner Region. Dort habe ich mir das Torwarttraining der Herren öfter angeschaut und versucht, daraus zu lernen. Dass ich mir das ein oder andere auch selbst beigebracht habe, möchte ich gar nicht verheimlichen.

fci.de: Stimmt es, dass du deinen ersten Torwarttrainer aus eigener Tasche bezahlt hast?

Özcan: Das war tatsächlich so. Ich war damals 18 Jahre alt. Wir waren bei meinem damaligen Verein zwei Keeper in der zweiten Liga in Österreich. Damals haben wir uns zunächst gegenseitig trainiert. Dann ist mein Kollege allerdings verletzt ausgefallen und ich habe darauf gepocht, dass ich einen eigenen Trainer bekomme. Es war aber einfach so, dass der Verein nicht die nötigen finanziellen Mittel hatte, um einen Torwarttrainer zu engagieren. Somit habe ich die Hälfte seines Gehaltes selbst bezahlen müssen – die andere Hälfte hat der Vereinspräsident bezahlt. Ich wollte halt einfach nicht, dass das negative Auswirkungen für meinen Verein hat. Ich wollte aber auf dem bestmöglichen Niveau trainieren und habe einfach alles versucht. Im Rückblick betrachtet, kann man sagen, dass ich alles richtig gemacht habe.

fci.de: Man sagt, dass ein Torhüter ein Einzelsportler in der Mannschaftssportart Fußball ist. Kannst du mit dieser Aussage etwas anfangen?
Özcan: Es ist schwer zu sagen. Aber es ist natürlich kein schönes Gefühl, wenn du ein Tor kassierst und du deine Teamkollegen mit hängenden Köpfen siehst. Schlussendlich hast du den Treffer kassiert – egal ob du an dem Tor Schuld hast oder nicht. Auch wenn ich persönlich nichts für das Gegentor kann, bin ich so veranlagt, dass ich das nicht abhaken kann. Wir sind eine Mannschaft und sind auch als Team verantwortlich. Ich habe hier mit Martin Scharrer einen sehr guten Torwarttrainer, mit dem ich die meiste Zeit trainiere. Wir Torhüter riskieren natürlich oft Kopf und Kragen für unsere Jungs. Aber das ist auch genau das, was mich an der Position reizt.

fci.de: Jetzt bist du einer der besten Torhüter im „Torwand-Land“ Deutschland, die Schanzer stellen als Aufsteiger eine bärenstarke Defensive und haben schon frühzeitig den Klassenerhalt gesichert. Dazu hast du gute Chancen, bei der EM in Frankreich dabei zu sein. Fühlst du dich manchmal im Rückblick wie in einem Traum?

Özcan: Absolut. Am Anfang der Spielzeit hat keiner mit solch einer traumhaften Saison gerechnet. Keiner hat uns und auch mir persönlich diese Leistung zugetraut. Wir sind trotzdem noch nicht am Ende unseres Weges angekommen. Wir haben einen Weg eingeschlagen, der überraschend schnell zum Erfolg geführt hat. Der gesamte Verein und ganz Ingolstadt sollten diesen Moment einfach genießen.

fci.de: Vielen Dank für das ausführliche Interview, Rambo.