Henke: „Unser Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft“

Auf dem „Grün“ zuhause: Co-Trainer Michael Henke.

Henke: „Unser Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft“

12. April, 2017 09.00 Uhr

Wie ist Michael Henke eigentlich Co-Trainer geworden? Wie viel Benzin hat der Ostwestfale im Blut? Was traut der 59-Jährige den Schanzern in ihrer Entwicklung noch zu? Diese und noch viele Antworten mehr gibt es beim Blick hinter die Schanz. Gute Unterhaltung!
fci.de: Servus Michael, vor deiner Zeit als Trainer warst du 13 Jahre Fußballprofi bei verschiedenen Mannschaften in der 3. und 2. Liga. Wie wurdest du in einer Zeit ohne flächendeckendes Scouting zum Profi?

Henke: Von meinem Heimatverein aus, mit dem wir in der Bezirksklasse gespielt haben bin ich zu einem Nachbarverein in die Landesliga gewechselt. Dort wurde ich vom FC Paderborn gesichtet, der zwei Klassen höher spielte und so ging es Stufe für Stufe nach oben. Der Sprung in die 2. Bundesliga war eigentlich ein Zufall. Ich hatte in Lippstadt gespielt und habe an meinem Studienort in Bochum eine Möglichkeit gesucht, unter der Woche zu trainieren. Daraufhin habe ich bei Wattenscheid trainiert, woraufhin sie mir einen Vertrag gegeben haben.

fci.de: Paderborn, Wattenscheid, Gütersloh waren unter anderem deine Stationen als Spieler – kann man dich als heimatverbunden in der Zeit bezeichnen oder war es Zufall, dass alle Teams in einer Region waren?

Henke: Es gab damals einfach noch nicht so viele Scouts, die überregional gesichtet haben. Das war ein Grund. Außerdem bin ich auf jeden Fall heimat- und familienverbunden. Deshalb bin ich auch erstmal in diesem Umkreis geblieben. Ich habe mit Bochum auch bewusst einen Studienort gewählt, der nur eine Stunde Fahrtzeit von zu Hause entfernt war. Auf der einen Seite war ich dann weit genug weg, um mich entwickeln zu können ohne auf der anderen Seite seine Verbindungen in die Heimat aufgeben zu müssen.

fci.de: Eigentlich wolltest du nach der aktiven Karriere Sportlehrer werden und hast an der Ruhr-Universität Bochum ein Lehramtsstudium in den Fächern Sport und Geographie absolviert. Wie kam es dazu?

Henke: Ich wollte in der Tat Sport- und Geografie-Lehrer am Gymnasium werden, auch weil ich dort die beste Möglichkeit gesehen habe, im Sport zu bleiben und mit jungen Menschen zu tun zu haben. So viele andere Möglichkeiten gab es zu der Zeit in dem Bereich nicht. Neben dem Lehrerberuf hätte ich auch Zeit gehabt, mich meinen Hobbies zu widmen. Ich wollte weiterhin möglichst hochklassig Fußball spielen beziehungsweise nach der aktiven Karriere möglichst hochklassig als Trainer arbeiten neben dem Lehreralltag. Abseits des Fußballs habe ich damals schon sehr gerne Tennis und Basketball gespielt. Im Winter war ich gerne auf Skiern unterwegs. Das wären meine Pläne gewesen.

fci.de: Es kam dann anders, du bist hauptberuflicher Trainer geworden. Wie kam es dazu?

Henke: Neben meinem Studium habe ich parallel meine Trainerscheine gemacht und nach meinem Studium habe ich die Fußballlehrer-Lizenz gemacht. Bei einem Besuch eines Kollegen, der mit mir die Lizenz gemacht hat, habe ich durch Zufall erfahren, dass Borussia Dortmund mit Horst Köppel als Cheftrainer einen Co-Trainer sucht. Daraufhin bin ich in die Offensive gegangen und habe mich quasi erst inoffiziell und dann offiziell beworben. Daraus sind neuneinhalb Jahre beim BVB geworden.

fci.de: Wie hast du diese Zeit als Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld erlebt?

Henke: Wie immer braucht man schon eine gewisse Zeit, um sich genau kennenzulernen. Aber man spürt schon beim ersten Kontakt, ob man sich grundsätzlich sympathisch ist und daraus etwas Positives entwickeln kann. Dieses Gefühl hatte ich bei Ottmar Hitzfeld. Er war schon damals ein Gentleman, der mir freundlich und mit guten Umgangsformen begegnet ist. In den ersten Gesprächen habe ich gemerkt, dass er auch andere Meinungen zulässt und wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Im Nachhinein hat er mir das auch bestätigt, dass er das gleiche erste Gefühl bei mir hatte. Es hat einfach gepasst.


"Henki" an der Taktiktafel.

fci.de: Danach seid ihr gemeinsam zum FC Bayern München gegangen. War das für dich ein Kulturschock hinsichtlich des Bundeslandes und des Vereins?

Henke: Ich kann mich erinnern, dass meine Kinder voll auf Borussia Dortmund eingestellt waren und zu Hause sogar in BVB-Bettwäsche geschlafen haben. Den Umzug von Nordrhein-Westfalen nach Bayern haben wir natürlich mit der ganzen Familie gemacht. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit, der bei meinen Kindern vor allem den bayerischen Dialekt betroffen haben, waren wir sofort integriert. Trotz der großen Umstellung, wurde es uns sehr leicht gemacht. Der FC Bayern hat sich hier auch sehr gut um uns gekümmert und uns beim Einleben unterstützt. So wurde dann die BVB-Bettwäsche durch FCB-Bettwäsche ausgetauscht. Wir haben uns sehr wohl in München gefühlt.

fci.de: Wie kann man sich die tägliche Zusammenarbeit mit Weltstars bei Bayern München oder Borussia Dortmund vorstellen?

Henke: Beim FC Bayern München haben damals schon auf und neben dem Platz Ikonen des deutschen Fußballs gearbeitet. Ob das Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge als Verantwortliche waren oder mit Sepp Maier als unseren Torwarttrainer auf dem Platz. Mit allen konnten wir jederzeit diskutieren und uns austauschen, dazu waren alle stets hilfsbereit.
Hinsichtlich der Spieler machte sich meine Mutter immer Sorgen: „Was ist denn mit dem Lothar Matthäus? Hört der denn auf dich?“ (lacht). Ich muss sagen, dass Spieler wie Lizarazu, Sagnol, Ballack, Kahn oder Effenberg nach innen ganz anders sind, als sie dargestellt werden oder sich selbst darstellen. Dass sie gefordert werden, waren sie gewohnt, wichtig war ihnen aber, dass man sich im Umgang stets fair verhält. Das war schon eine spannende Zeit, da man auch von der Erfahrung dieser Spieler etwas mitnehmen konnte.

fci.de: Wenn du an all die erfolgreichen Jahre und Titel zurückdenkst – was bleibt dabei am meisten in Erinnerung?

Henke:  Zunächst einmal der DFB-Pokalsieg mit Borussia Dortmund 1989. Der Empfang der Fans daraufhin war unglaublich, das kann man sich gar nicht vorstellen. Das war für mich nach einem halben Jahr beim BVB ein großartiges Erlebnis. Zuvor hatte ich vor 15.000 bis 18.000 Zuschauer in der 2. Liga gespielt. Da war plötzliche eine ganze Stadt auf den Beinen und jubelte einem zu. Das bleibt mir unglaublich intensiv in Erinnerung. Auf der anderen Seite muss ich auch an das verlorene Endspiel mit dem FC Bayern München in der Champions League in Barcelona gegen Manchester United denken. Das war so extrem und bleibt dann natürlich in der Erinnerung haften. Auch die Kombination der Last-Minute-Meisterschaft 2001 in Hamburg mit dem anschließenden Sieg in der Champions League gegen den FC Valencia ist eine schöne Erinnerung. Diese hochdramatische Endphase mit der Konstellation damals zeigt mir auch in unserer aktuellen Situation mit den Schanzern, dass noch alle möglich im Fußball ist.

fci.de: Vor ein paar Jahren hast du auch den Schritt ins Ausland gewagt und ein Jahr in Teheran gearbeitet. Was hat dich an dieser Herausforderung gereizt?

Henke: Auf den vielen Auslandsreisen habe ich viele deutsche Trainer kennengelernt, die in fernen Ländern gearbeitet haben. Daraus ist schon damals der Reiz erwachsen, auch einmal das Abenteuer Ausland zu wagen. Ich war eigentlich vorher skeptisch, was Teheran angeht aber den Schritt im Nachhinein überhaupt nicht bereut. Das Jahr war unheimlich interessant, lehrreich und mit dem Pokalsieg auch erfolgreich. Ich habe heute noch teilweise Verbindungen zu Spielern aus der Zeit. Ich kann solche eine Erfahrung nur jedem empfehlen.

fci.de: Wie kam dann der Kontakt zum FC Ingolstadt 04 zustande?

Henke: Ich habe Thomas Linke von früher gekannt und in der Zeit viele Spiele in den deutschen Ligen im Stadion verfolgt. Ich habe bei einem Spiel des FCI unter Trainer Thomas Oral in Duisburg Harald Gärtner auf der Tribüne kennengelernt, der mich damals eingeladen hatte, einfach mal in Ingolstadt auf einen Kaffee vorbeizukommen. Damals dachte noch keiner daran, dass ich vielleicht Trainer bei den Schanzern werden könnte. Als ich für Aston Villa als Scout unterwegs war, ist man sich immer mal wieder über den Weg gelaufen. Im Winter 2013 kam der für mich überraschende Anruf von Thomas Linke, der mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, als Co-Trainer beim FCI zu arbeiten. Ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl und war davon überzeugt, dass in Ingolstadt etwas entstehen kann. Dass die Entwicklung so schnell geht, hätte ich auch nicht gedacht.

Michael Henke (links) im Gespräch mit Fitness-Coach Jörg Mikoleit und Cheftrainer Maik Walpurgis.

fci.de:
Welche Vorstellung hattest du damals von den Schanzern und was glaubst du, ist mit dem FCI in Zukunft noch möglich?

Henke: Unser Weg ist definitiv noch nicht zu Ende. Das gesamte Potenzial des Clubs ist noch nicht ausgeschöpft. Es hat sich schon unheimlich viel in den vergangenen Jahren getan und die Infrastruktur ist schon großartig. Ich bin davon überzeugt, dass man es schaffen kann, den Verein in der ersten Liga zu etablieren, wenn man Rückschläge verkraften kann und die Erwartungshaltung des Umfeldes realistisch bleibt. Beispiele wie der SC Freiburg oder Mainz 05 machen es vor, wie es funktionieren kann.

fci.de: Zwischendurch warst du auch Markenbotschafter des FC Ingolstadt 04 und für den Ausbau der internationalen Beziehungen zuständig. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?

Henke: Ich habe festgestellt, dass im Ausland stark die Bundesliga beobachtet, weil sie einen hohen Stellenwert hat. Egal ob in China, den USA oder England: Für die Leute war es äußerst interessant zu erfahren, wie es ein kleiner Verein wie der FC Ingolstadt 04 mit einem vergleichsweise geringen Budget schafft, im Konzert der Großen mitzuspielen.  Das war sehr spannend, sich dahingehend mit den Leuten vor Ort auszutauschen

fci.de: Vielen Dank und viel Erfolg im Liga-Endspurt!